28. Juni 2025
Vertreterversammlung

Auch 2025 ist das „Fahrwasser“ nicht ruhiger geworden: Mit der neuen Bundesregierung stellt sich die Frage, wie die Gesundheitspolitik der kommenden Jahre aussehen wird.
Die Belastungen für den Gesundheitssektor sind enorm, nach wie vor wird „am Anschlag“ gearbeitet. Es braucht Veränderungen, um zukunftsfähig zu bleiben. Ebenso relevant ist die Weiterentwicklung der ärztlichen Fort- und Weiterbildung sowie die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen. Ärztinnen und Ärzte müssen „up to date“ bleiben, fachlich allen Herausforderungen gewachsen sein und sich auf ihre Teams verlassen können.
Um diese Themen zu diskutieren, sich gemeinsam ein Bild machen und wichtige gesundheitspolitische Weichenstellungen vornehmen zu können, trafen sich die Mitglieder der Vertreterversammlung der Landesärztekammer Baden-Württemberg Ende Juni zu ihrer ersten Sitzung des Jahres 2025
Aktueller Lagebericht
Dr. Wolfgang Miller, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, thematisierte gleich zu Beginn seines Berichts zur Lage die – auch allgemeinpolitische – Krisensituation. Meldungen über Gewalt bestimmten den Alltag, Krieg und das Recht des Stärkeren seien scheinbar normal geworden. „Es ist ein düsteres Bild“, so Dr. Miller. Wie also müsse effektive Krisenbewältigung unter solchen Umständen aussehen? Der Kammerpräsident ließ keinen Zweifel daran: Bei allen gesellschaftlichen Anstrengungen sei in jedem Fall auch die Ärzteschaft mit ihrem medizinischen und gesundheitspolitischen Know-how einzubeziehen.
Beispielhaft zeigte Dr. Miller auf, dass sich die ärztliche Selbstverwaltung bereits an zahlreichen Stellen einbringt und zur gesellschaftlichen Stabilität beiträgt. So sei die Ärztekammer Teil einer Initiative, um den Kinderschutz im Land voranzubringen. Und sie hat jüngst ein Online-Portal eingerichtet, über das Gewalt gegen medizinisches Personal gemeldet werden kann.
Wichtig sei kammerseitig auch, „auf klassische Weise“ die Rahmenbedingungen ärztlichen Wirkens zu stärken. Die Ärztekammer bringe eine moderne ärztliche Fort- und Weiterbildung mit klarem und einfachem Regelwerk voran, bestonte Dr. Miller. Zudem würden Online-Services wie beispielsweise das Verfahren zur Kammerbeitragsveranlagung oder die Beantragung und Anerkennung von Fortbildungspunkten konsequent ausgebaut.
Einen Fokus legte der Präsident im Bericht auch auf die Erfolge in Zeiten des Fachkräftemangels mit einer hoch qualifizierten Ausbildung und guten Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, um Medizinische Fachangestellte (MFA) für die Praxen zu gewinnen und zu halten.
Ausländische Ärztinnen und Ärzte sollen in die Versorgung intergriert werden. „Sie gehören zu uns“, sagte Dr. Miller. Seit Jahren führten die Bezirksärztekammern die Fachsprachenprüfung durch, in diesem Jahr habe die Selbstverwaltung auch die Organisation der Kenntnisprüfungen vom Land übertragen bekommen. Wichtig sei aber vor allem, ausländische Kolleginnen und Kollegen durch eine gute Willkommenskultur zu integrieren. Hier leisteten Bezirksärztekammern und Ärzteschaften vor Ort hervorragende Arbeit.
Kammerpräsident Dr. Miller brachte zum Ende seiner Rede die Anstrengungen der Kammer unter dem Applaus der Delegierten auf den Punkt: Die ärztliche Standesvertretung werde weiterhin ihren Beitrag dazu leisten, das einzigartige hiesige Gesundheitssystem mit einer solidarisch finanzierten Spitzenmedizin zukunftsfähig zu halten – und trage damit zur Stabilität der Gesellschaft bei.
Gemeinsamer Neubau in Freiburg
Schon länger ist offizielle Beschlusslage, dass die Bezirksärztekammer Südbaden und die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg in Freiburg gemeinsam ein neues Verwaltungsgebäude bauen. In den bisherigen Räumlichkeiten besteht erheblicher Sanierungsstau, und der Bedarf an Büro- und Konferenzräumen ist deutlich gewachsen. Der Altbau des gemeinsamen Ärztehauses von 1965 wird daher vollständig abgerissen, der Erweiterungsbau von 1983 komplett entkernt, energetisch saniert und funktional neu strukturiert. Die Bauarbeiten werden Mitte 2026 beginnen.
Südbadens Kammerpräsidentin Dr. Paula Hezler-Rusch erinnerte daran, dass mit dem Neubau des Verwaltungsgebäudes die baulichen Voraussetzungen für moderne Arbeitswelten und eine nachhaltige Weiterentwicklung der regionalen Präsenz der Ärztekammer geschaffen werden. So entstehe ein Ort für Mitglieder und Mitarbeitende, der zur Stärkung der dezentralen Struktur beitrage.
Die Rechnungsführerin Dr. Gisa Weißgerber und der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Prof. Dr. Michael Faist, informierten die Vertreterversammlung über die Kosten- und Finanzierungsplanung: Der Kostenanteil für die Ärztekammer beträgt rund 24 Millionen Euro. Die Baukosten sollen in den Jahren 2026 bis 2030 mit einem Zusatzbeitrag von jährlich zirka 0,06 Prozent aufgebracht werden. Die exakt benötigten Mittel werden jährlich mit dem Haushaltsplan beschlossen. In Kenntnis aller Fakten stimmte die Vertreterversammlung daraufhin mit überwältigender Mehrheit der weiteren Planung sowie der Bauausführung zu.
Finanzen und Gebührenordnung
Nach dem Vortrag von Dr. Ulrich Mohr, dem Berichterstatter über die Jahresrechnung, stimmten die Delegierten dem Jahresabschluss 2024 zu. Rechnungsführerin Dr. Weißgerber gab einen Finanzzwischenbericht. Kammervizepräsidentin Agnes Trasselli stellte punktuellen Änderungsbedarf an der Gebührenordnung (hinsichtlich Facharztprüfung, Ethik-Kommission, PID-Ethikkommission sowie Fortbildung) vor; die Delegierten stimmten den Änderungsvorschlägen uneingeschränkt zu.
Unabhängigkeit ärztlicher Fortbildung gestärkt
Die Vertreterversammlung hat einer grundlegend überarbeiteten Fortbildungsordnung zugestimmt. Damit werden künftig klarere Regelungen für das Sponsoring von Fortbildungsveranstaltung gelten. Unter anderem kommen bei den Anerkennungskriterien für ärztliche Fortbildungsveranstaltungen stärker die Gebote von Neutralität, Transparenz und Unabhängigkeit zum Tragen, wie Dr. Jürgen de Laporte, der Vorsitzende des Fortbildungsausschusses, darstellte.
In der neuen Fortbildungsordnung heißt es nun konkret: „Die Fortbildungsmaßnahme muss die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen wahren und diese darf nicht zugunsten wirtschaftlicher Interessen beeinflusst werden. Dies setzt insbesondere voraus, dass die Fortbildungsmaßnahme weder direkt noch indirekt darauf abzielt oder in Kauf nimmt, medizinische Entscheidungen der Teilnehmenden aufgrund wirtschaftlicher Interessen der Anbietenden, Mitwirkenden oder Dritter zu beeinflussen.“
Damit ausreichend Zeit für verwaltungsseitig notwendige Anpassungen bleibt, wird die neue Fortbildungsordnung im Juli nächsten Jahres – nach vorheriger Bekanntmachung im Ärzteblatt Baden-Württemberg – in Kraft treten.
Telenotärztliche Versorgung
Seit Juli 2024 gilt in Baden-Württemberg ein neues Rettungsdienstgesetz. Darin ist unter anderem geregelt, dass auch Telenotärztinnen und -ärzte am Rettungsdienst mitwirken können. Es handelt sich dabei um Ärztinnen und Ärzte, die im Rettungsdienst als Notärztinnen und Notärzte erfahren sind und mittels Telekommunikation Sprach- und gegebenenfalls Sichtkontakt zu einem Rettungsmittel und dessen Besatzung vor Ort haben. Die landesweite Umsetzung ist bis Ende 2030 vorgesehen; vorher sollen zwei Pilotbereiche in Ludwigsburg und Freiburg den Testbetrieb aufnehmen.
Ziele des telenotärztlichen Systems sind unter anderem die Ermöglichung einer Ferndiagnostik und -behandlung durch Telenotärztinnen und Telenotärzte an einem Telearbeitsplatz zur Beratung und Unterstützung des im Einsatz befindlichen Rettungsdienstpersonals vor Ort, Delegation heilkundlicher Maßnahmen an die vor Ort befindlichen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter, Verkürzung des arztfreien Intervalls bis zum Eintreffen einer Notärztin oder eines Notarztes vor Ort sowie Verkürzung der notärztlichen Bindezeiten und Verringerung der Einsatzzahlen ärztlicher besetzter Rettungsmittel.
Die Vertreterversammlung hat nun festgelegt, dass Voraussetzung für den Erwerb der Qualifikation Telenotärztin/-arzt umfassende notärztliche Erfahrung sowie die Teilnahme an einer entsprechenden Fortbildung auf Basis des Bundesärztekammer-Curriculums ist. Dieses enthält umfassende theoretische Lerninhalte. Zusätzlich werden in der Fortbildung auch landesrechtliche Aspekte sowie die landesspezifischen strukturellen und organisatorischen Besonderheiten vermittelt.
Berufsordnung
Die Vertreterversammlung nahm wenige punktuelle Anpassungen in der Berufsordnung vor, unter anderem bei den Themen Fortbildung und Forschung. Diese Änderungen werden nach Genehmigung durch das Sozialministerium im Ärzteblatt Baden-Württemberg bekanntgemacht und treten anschließend in Kraft.
Validierungsverfahren
Das Berufsvalidierungsverfahren wurde 2024 neu eingeführt. Im Zuge eines solchen Validierungs- oder Feststellungsverfahrens können Menschen, die langjährige Berufserfahrung, aber keinen offiziellen Berufsabschluss haben, ihre in der Praxis erworbenen Kompetenzen mit den Anforderungen des geltenden Berufsbildungssystems vergleichen und bewerten lassen.
Da die Ärztekammer zuständige Stelle für den Ausbildungsberuf der Medizinischen Fachangestellten ist, muss sie Regelungen für dieses Verfahren schaffen, berichtete die Vorsitzende des Berufsbildungsausschusses, Dr. Sophia Blankenhorn. Daraufhin beschlossen die Delegierten die Einrichtung sogenannter Feststellungstandems, die aus je einer beauftragten Person der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite aus den MFA-Prüfungsausschüssen bestehen.
Nachhaltigkeitsbericht
Der Klimaschutzbeauftragte der Landesärztekammer, Dr. Robin Maitra, legte den Delegierten den jährlichen Nachhaltigkeitsbericht vor. (Zur Erinnerung: 2021 hatte die Vertreterversammlung für die Ärztekammer den Weg freigemacht, bis 2030 Klimaneutralität zu erreichen.) Deutlich wurde im Bericht, dass Landesärztekammer und Bezirksärztekammern „Hand in Hand“ arbeiten, um mit kleinen und großen zielgerichteten Aktivitäten CO2-Emissionen zu senken. Dr. Maitra nannte beispielhaft Umstellung auf Ökostrom, Austausch der Gasheizung durch umweltfreundliche Technologie, Photovoltaik-Anlagen, Förderung der E-Mobilität – das alles gehört genauso zum Maßnahmenkatalog wie das Bemühen um regionale sowie umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen, Müllvermeidung, Videokonferenztechnik zur Reduzierung von Fahrtwegen oder die Förderung von Klima-Kompensationsprojekten. Für die Landesärztekammer konnte der CO2-Gesamtverbrauch laut Bericht von 2022 bis 2024 bereits um 31,6 Tonnen reduziert werden.
Der Klimaschutzbeauftragte skizzierte zudem einige nach außen gerichtete Aktivitäten der Ärztekammer in Sachen Klimawandel und Bevölkerungsaufklärung. Beispielhaft nannte er die kammerseitige Mitarbeit an Hitzeaktionsplänen für Kommunen sowie ihr Mitwirken im Aktionsbündnis Klimawandel und Gesundheit. Die Delegierten nahmen die zahlreichen Anstrengungen der Ärztekammer erfreut zur Kenntnis und sehen die Kammer weiterhin auf einem guten Weg.
Die Vertreterversammlung fasste mehrere Entschließungen, die wir aus Platzgründen nur stark verkürzt wiedergeben. Alle Beschlüsse sind jedoch demnächst im Volltext auf der Website der Landesärztekammer Baden-Württemberg nachlesbar (www.aerztekammer-bw.de/entschliessungen).
Ärztliche Grundhaltung: Die Kammer setzt sich für die Stärkung einer demokratischen und das Wohl des einzelnen Patienten ins Zentrum stellenden ärztlichen Grundhaltung ein und wendet sich entschieden gegen eine offene Diskriminierung oder stille Stigmatisierung.
Klimafolgen: Praxen, Krankenhäuser und weitere Gesundheitseinrichtungen sollen für die klimaresiliente Versorgung ertüchtigt werden.
Böllerverbot: Die Landesregierung wurde aufgefordert, auf ein Verbot von privaten Silvesterfeuerwerken hinzuwirken und die Einrichtung von Böllerverbotszonen zu unterstützen.
Katastrophenfall: Es wurde beschlossen, einen Vertreter der Bundeswehr in den Ausschuss „Notfallversorgung“ dauerhaft zu kooptieren.
Bevölkerungsschutz: Das Innenministerium wurde aufgefordert, die offenen organisatorischen Fragen in Bezug auf die Leitenden Notärztinnen und Notärzte zu klären.
Bewaffnete Konflikte: Jegliche Form von Gewalt in Kriegs- und Krisengebieten gegen medizinisches Personal, Patientinnen und Patienten sowie gegen medizinische Infrastruktur wurde verurteilt.
Elektronische Arbeitszeiterfassung: Die Landesregierung möge Sorge tragen, dass die Arbeitszeiten der Ärzte und Ärztinnen an Unikliniken gesetzes- und tarifvertragskonform erfasst werden.
Faires PJ: Die Forderungen der Medizinstudierenden für ein faires PJ wurden unterstützt.