23. Juli 2023

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Aktueller Lagebericht, Klimaschutzbericht, absehbare Beitragserhöhung

Vertreterversammlung der Landesärztekammer

Foto Dr. Miller© Kammerpräsident Dr. W. Miller bei seinem Vortrag vor der Vertreterversammlung(Foto: OE)

Alarmstufe Rot in den Krankenhäusern, bürokratische Gängelungen, Fachkräftemangel, Folgen des Klimawandels, weniger Zeit für Patientinnen und Patienten sowie Probleme bei der Digitalisierung – das waren nur einige Themen der jüngsten Vertreterversammlung. Alle Akteure stehen vor riesigen Herausforderungen, um die Patientenversorgung weiterhin gewährleisten zu können.

Die Ärzteschaft ist in solchen Zeiten mehr denn je gefragt, sich auszutauschen und mit an Lösungen zu arbeiten. Dies hatten die Delegierten der Vertreterversammlung der Landesärztekammer Baden-Württemberg im Hinterkopf, als sie sich zu ihrer diesjährigen Sommer-Sitzung am Stuttgarter Flughafen trafen. Auch in diesem Jahr wurden intensive Debatten geführt und wichtige berufs- und gesundheitspolitische Weichenstellungen auf den Weg gebracht. Im Fokus stand dabei stets, die Ärzteschaft weiter schlagkräftig zu halten!

Aktueller Lagebericht

Dr. Wolfgang Miller, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg, stellte gleich zu Beginn in seinem Bericht zur Lage fest: „Wir stehen vor großen Herausforderungen – in unserer Gesellschaft und in unserem Beruf!“ Beispielhaft griff er das Thema Digitalisierung auf, um die damit verbundenen Problemstellungen konkret vor Augen zu führen: Digitalisierung sei „mühsam“ und koste Geld, sagte Dr. Miller – gleichzeitig gebe es ärztlicherseits keinen anderen Weg als „am Ball zu bleiben“. Denn Videosprechstunde, elektronische Patientenakte oder auch die Anbindung an die Telematikinfrastruktur seien aus dem Behandlungsalltag gar nicht mehr wegzudenken. Das Thema aus der Hand zu geben, sei keine Option. „Das müssen wir weiter begleiten!“, machte Dr. Miller unmissverständlich klar. 

Der Kammerpräsident betonte in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Ärztekammer. Gefragt sei mehr denn je eine zukunftsfähige, moderne und anpassungsfähige ärztliche Selbstverwaltung, die den Herausforderungen der Zeit der gewachsen ist. Die Ärztekammer in Baden-Württemberg sei auf einem sehr guten Weg, so Dr. Miller. „Sie ist nicht mehr dieselbe wie vor 30, 20 oder vor zehn Jahren. Wir sind nicht mehr nur Behörde, wir sind Dienstleister – gern und aus voller Überzeugung!“

Foto Dr. Miller© Kammerpräsident Dr. W. Miller bei seinem Vortrag vor der Vertreterversammlung (Foto: OE)


Ein Schlüssel zum effektiven Bewältigen von Problemen sei zum einen das aktive Mitgestalten – erneut beispielhaft aufgezeigt am Thema Digitalisierung: So stoße der von der Landesärztekammer eingerichtete Showroom, in dem digitale Anwendungen im geschützten Raum „spielerisch“ erprobt und getestet werden können, auf großes Interesse nicht nur bei den Mitgliedern, sondern auch bei anderen Berufsgruppen der Gesundheitsversorgung, bei den Krankenkassen und bei der Landespolitik. Auch die von der Kammer konzipierte, bundesweit einmalige Auftakt-Fortbildung zum elektronischen Rezept sei ein voller Erfolg und richtungsweisend. Ebenso zeige die Kammer großes Engagement beim Kampf gegen den Fachkräftemangel, so beim kontinuierlichen Dialog mit der Politik und beim Einbringen von fachlichem und organisatorischem Know-how, um für bessere Rahmenbedingungen bei den Zuwanderungsmöglichkeiten zu sorgen. Dr. Millers Botschaft war klar: Nur auf Trends der Zeit zu reagieren, reicht nicht aus. Erst aktives Mitgestalten macht wirklich handlungsfähig. 

Zur Zukunftsfähigkeit gehöre aber auch, die Kammer selbst weiter zu entwickeln. Und auch hier sei die Ärztekammer im Südwesten vorn mit dabei, betonte der Kammerpräsident – und nannte Beispiele: Die Zuständigkeiten zwischen Bezirken und Land, zwischen operativer Arbeit für Ärztinnen und Ärzten und dem Bereitstellen einer funktionierenden Infrastruktur und dem Vertreten der ärztlichen Anliegen nach außen, seien klar definiert und zunehmend eingespielt. Die Abläufe der ärztlichen Weiterbildung seien gemeinsam neu organisiert und nach aktuellen Standards ausgerichtet. Die neue Website der Kammer mit integriertem Mitgliederportal sei inzwischen zur Grundlage vieler Angebote an Ärztinnen und Ärzte geworden (Meldewesen, Dokumentation der Weiterbildung etc.) – dies werde bereits fleißig genutzt. 

Mit Politik, Kommunen, Bürgern sowie den Medien sei die Kammer eng verbunden und inzwischen zum gefragten Gesprächspartner avanciert. Und nicht zuletzt zeige sie durch konkretes und durchdachtes Ressourcenmanagement großes Engagement in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit in den eigenen Einrichtungen. Auch hier war die Botschaft des Präsidenten eindeutig: Fortschritt geht nur durch Wandel – konsequent und gut durchdacht. 

Der Applaus der Delegierten nach Dr. Millers Ausführungen zeigte, dass das baden-württembergische Ärzteparlament voll hinter den Antworten der Kammer auf die Herausforderungen der Zeit steht. Allen war und ist klar: Einfach „gelöst werden“ können die Probleme nicht. Entscheidend ist aber, welche Wege gegangen werden, um vom Reagieren ins Mitgestalten zu kommen. 


Ausschüsse der Landesärztekammer

Die neue Wahlperiode läuft, inzwischen haben die ersten bei der Landesärztekammer eingerichteten Fachausschüsse ihre Arbeit aufgenommen. Die Ausschussmitglieder haben bereits in ihren jeweiligen konstituierenden Sitzungen Themenschwerpunkte definiert, die es seitens der Ärzteschaft anzupacken gilt. Darüber hinaus haben sie auch über den Vorsitz und die Stellvertretung ihres jeweiligen Expertengremiums abgestimmt. – Die Zusammensetzung der Ausschüsse „Notfallversorgung“ und „IT im Gesundheitswesen“ war bislang jedoch noch offen geblieben und wurde nun von den Delegierten in geheimer Wahl festgelegt. - Die personelle Zusammensetzung der Ausschüsse ist hier nachlesbar.


Beitragserhöhung unausweichlich

Ein weiteres Thema der Vertreterversammlung waren die Haushaltsberatungen. Berichterstatter Dr. Ullrich Mohr informierte in seinem Vortrag, dass der Wirtschaftsprüfer die Ordnungsmäßigkeit des Jahresabschlusses 2022 bestätigt hatte. Die Delegierten nahmen die Prüfungsergebnisse zustimmend zur Kenntnis und erteilten dem Kammervorstand Entlastung. Wie in jedem Jahr werden die Kammermitglieder – neben einer kurz gefassten Veröffentlichung im Ärzteblatt Baden-Württemberg Gelegenheit haben, persönlichen Einblick in den Jahresabschluss zu nehmen.

Die Rechnungsführerin im Vorstand der Landesärztekammer, Dr. Gisa Weißgerber, und der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Prof. Dr. Michael Faist, informierten gemeinsam über Entwicklungen im laufenden Rechnungsjahr. Demnach ist die aktuelle Finanzlage unter anderem geprägt von Preissteigerungen, einer weiterhin hohen Inflationsrate, einem nie dagewesenen Defizit sowie stagnierenden Beitragseinnahmen. Nach den Ausführungen von Dr. Weißgerber haben neben anderen Einflussfaktoren bereits angestoßene Projekte, notwendige Ausgaben für die EDV sowie Personalkostensteigerungen großen Einfluss auf die angespannte Haushaltslage. Prof. Faist betonte, dass derzeit kein Puffer für einen Haushaltsausgleich bestehe und daher – neben Sparmaßnahmen – eine Beitragserhöhung im Herbst unausweichlich sei. Ende Juli war es allerdings noch zu früh, die bevorstehende Beitragserhöhung seriös zu berechnen.

Foto Prof. M. Faist und Dr. G. Weißgerber© Prof. M. Faist und Dr. G. Weißgerber bei ihrem Bericht vor der Vertreterversammlung (Foto: OE)


Die Vertreterversammlung nahm den Finanzbericht nicht nur zur Kenntnis, sondern diskutierte die vorgestellten Ergebnisse und Maßnahmen äußerst konzentriert und detailliert. Sie war sich bewusst, dass im Herbst auf Grund der aktuellen Schätzungen für das Haushaltsjahr 2024 nur dann ein ausgeglichener Haushaltsplan beschlossen werden könne, wenn neben weiteren Maßnahmen der Beitragsfaktor (derzeit bei 0,44 Prozent) erhöht werde.

Daher forderten die Delegierten den Vorstand der Landesärztekammer sowie die Vorstände der Bezirksärztekammern auf, ab sofort und im Rahmen der Haushaltsplanung für das Haushaltsjahr 2024, alle Sparmöglichkeiten zu aktivieren, welche nicht zu Lasten der Funktionsfähigkeit und der Aufgabenerfüllung gehen und nicht die künftige Weiterentwicklung der Landesärztekammer gefährden. Da Personal- und EDV-Kosten die größten Ausgabenposten darstellen, wurde der Kammervorstand auch beauftragt, eine EDV-Kostendeckelung beziehungsweise ein Einfrieren von Personalstellen zu prüfen.

Der Vertreterversammlung war bewusst, dass aufgrund der nicht vorhersehbaren Entwicklungen der Beitragsfaktor zukünftig eher einer Schwankung unterliegen werde und die Beitragsfaktorsatzung gegebenenfalls jährlich auf Basis des Vorjahresabschlusses, des laufenden Haushaltsjahres und der Haushaltsplanung für das Folgejahr, errechnet wird. Gleichzeitig bekannte sich die Vertreterversammlung der Landesärztekammer zur Bezirksstruktur und bekräftigte zudem ältere Beschlüsse für den (gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung) geplanten Neubau des Dienstgebäudes der Bezirksärztekammer Südbaden.

Den Delegierten war angesichts der angespannten Finanzlage eine größtmögliche Transparenz gegenüber den Ärztinnen und Ärzten ein wichtiges Anliegen. Auf der Website der Landesärztekammer stehen daher demnächst allen Mitgliedern (nach Login) im „Faktencheck Finanzen“ ausführliche Informationen zur aktuellen Finanzlage und zur absehbaren Beitragserhöhung zur Verfügung. 

In weiteren Tagesordnungspunkten beschlossen die Delegierten eine Erhöhung der Gebühren der Ärztlichen Stelle (die für die Qualitätssicherung und Überwachung von Röntgeneinrichtungen und Geräten im Bereich der Nuklearmedizin und Strahlentherapie zuständig ist) sowie der Entschädigungsregelung an Lehrkräfte für die Ausbildung von Medizinischen Fachangestellten.


Ärztekammer und Klimaschutz

Der Klimaschutzbeauftragte der Landesärztekammer, Dr. Robin Maitra, legte mit seinem Klimaschutzbericht der Vertreterversammlung ein „Update“ aller diesbezüglichen Anstrengungen der Kammer vor. Zur Erinnerung: Das Ärzteparlament hatte 2022 nicht nur entschieden, einen Maßnahmenplan der Ärztekammer hin zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit – und letztlich hin zur völligen Klimaneutralität der Ärztekammer – aufzulegen und umzusetzen. Darüber hinaus hatte es sich auch gewünscht, über Entwicklungen und Fortschritte auf dem Laufenden gehalten zu werden. Diesem Wunsch kam Dr. Maitra in der Sommer-Sitzung nach.

Der Klimaschutzbeauftragte legte zunächst – auch für die vielen neu in die Versammlung gewählten Delegierten – wesentliche Wegmarken und Entscheidungen des Kammervorstands sowie die Aktivitäten der Geschäftsstellen in der Vergangenheit nochmals dar und sorgte auf diese Weise für Transparenz. Anschließend skizzierte er die verschiedensten Maßnahmen und zeigte detailliert auf, wie und an welchen Stellen durch welche Maßnahmen teils massive CO2-Einsparungen vorgenommen werden konnten und können. Dr. Maitra sprach unter anderem über den Einbau neuer Heizkessel und einer neuen Gebäudeleittechnik, über die Umstellung auf Öko-Strom in der Landes- und in Bezirksärztekammern und über den Einsatz von Videokonferenztechnik in den Geschäftsstellen, um Fahrtwege zu sparen. Ebenso berichtete er darüber, dass in den Geschäftsstellen darauf geachtet werde, nachhaltige und recyclebare Materialen zur Raumausstattung zu verwenden und bereits zuvor Lieferanten-Lieferketten in den Blick zu nehmen.

Foto Dr. R. Maitra© Dr. R. Maitra bei seinem Vortrag vor der Vertreterversammlung (Foto: OE)


Deutlich wurde bei Dr. Maitras Ausführungen: Die Geschäftsstellen im Land und in den Bezirken „ziehen an einem Strang“. Alle beteiligen sich daran, jetzt und perspektivisch auf Nachhaltigkeit zu achten. Darüber hinaus bleibt es „im Kleinen wie im Großen“ nicht im Unkonkreten: Automatische Lichtabschaltung, Temperatur-Nachtabsenkung, das Aufstellen  von E-Ladesäulen, die gezielte Förderung von „ressourcenschonendem“ Verhalten im Büro, Kompensationszahlungen bei unvermeidbaren CO2-Ausstößen und viele weitere Beispiele zeigten den Delegierten in der Sitzung auf, dass Klimaschutz bereits jetzt konkret realisiert werden kann.

Dr. Maitra berichtete noch vom anderweitigem Klima-Engagement der Kammer: so beispielsweise der Beitritt der Kammer zum Nichtverbreitungsvertrag für fossile Brennstoffe sowie das Mit-Organisieren einer Pressekonferenz zum Thema „Hitzeschutz“ gemeinsam mit der Landespolitik (das ÄBW hatte berichtet). Die ärztlichen Abgesandten diskutierten wichtige Fragestellungen zum Bericht. Dr. Maitra stellte am Ende des Tagesordnungspunktes fest: „Es ist ein Ruck durch die Kammer in Sachen Klimaschutz gegangen, wir haben bereits viel erreicht!“


Entschließungen

Die Vertreterversammlung fasste mehrere Entschließungen, die wir hier nur stark verkürzt wiedergeben. Alle Beschlüsse sind hier im Volltext nachlesbar.

Rettungsdienst: Das Innenministerium des Landes wurde aufgefordert, bei allen Digitalprojekten auf Interoperabilität nationaler und internationaler Standards zu achten und für eine vollumfänglich Finanzierung zu sorgen.

Standard bei EKG-Kabeln: Die Landesregierung wurde aufgefordert, sich für eine bundes- und europaweite Normierung der Steckverbindung zwischen Defibrillatoren und deren Elektroden einzusetzen.

Stärkung des Berufsbildes: Die Delegierten sprachen sich gegen die Verwendung des Begriffes „Assistenzärztin / -arzt“ für Ärztinnen und Ärzte ohne abgeschlossene Facharztweiterbildung aus. Arbeitgeber wurden aufgefordert, stattdessen die Berufsbezeichnung „Ärztin / Arzt“ zu verwenden.

Meldeordnung: Es wurde eine Änderung der Meldeordnung gefordert, damit Wahlbewerberinnen und -bewerbern zum Zwecke der Wahlwerbung personenbezogene Daten der Wahlberechtigten ihres Wahlkreises / ihres Wahlbezirks überlassen werden können.

Ärztliche Prävention stärken: Es wurde eine intensivere Beteiligung der Ärzteschaft bei der Weiterentwicklung des Präventionsgesetzes, des Präventionsforums und der Nationalen Präventionskonferenz gefordert.

Daseinsfürsorge vor Kommerzialiserung: Bei der Neustrukturierung der Einrichtungen im Gesundheitswesen sollen nicht primär Marktmechanismen der Beurteilung der Existenzberechtigung herangezogen werden. Es wurde betont, dass für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung die Daseinsfürsorge Vorrang haben muss.

Müll im Gesundheitswesen: Es wurden intensivere Anstrengungen zur Müllreduktion im Gesundheitswesen gefodert. Insbesondere wurde angeregt, die unnötige und riesige Müllmengen produzierende Verblisterung von Medikamenten wo möglich abzuschaffen.