21. April 2023

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Akademie der Bezirksärztekammer Südbaden

Künstliche Intelligenz in der Medizin

Eröffnungsveranstaltung der Bezirksärztekammer Südbaden© Präsidentin Dr. P. Hezler-Rusch, Prof. Dr. M. Forsting, Prof. Dr. H. Bast, Vizepräsident Dr. J. Woll (Foto: Bezirksärztekammer Südbaden)

Mit dem Themenabend „Künstliche Intelligenz in der Medizin“ eröffnete am 29. März 2023 die Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung der Bezirksärztekammer Südbaden ihr Veranstaltungsjahr, an dem über 60 Interessierte in Präsenz und durchschnittlich 200 online teilnahmen. Die Aktualität und Bedeutung dieser Materie belegt überdies auch die von der Politik in Auftrag gegebene Studie „Mensch und Maschine – Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz“ des Deutschen Ethikrats, die nur eine Woche zuvor am 20. März 2023 in Berlin öffentlich vorgestellt worden war. 

Wie die Präsidentin der Bezirksärztekammer Südbaden, Frau Dr. Paula Hezler-Rusch, in ihrer Einführung betonte, steht die Künstliche Intelligenz (KI) für eine Zukunft, in der medizinische Entscheidungen und Tätigkeiten von maschinellen Systemen unterstützt oder übernommen werden. So sollen Möglichkeiten und Grenzen der neuen Technologien aufgezeigt und die Konsequenzen für die medizinische Versorgung beleuchtet werden. Frau Dr. Hezler-Rusch stellte die berechtigte Frage, ob die Botschaft aus dem „Zauberlehrling“ in Goethes Ballade, dass die entfesselten Kräfte außer Kontrolle geraten und nicht mehr beherrschbar sein könnten, in Analogie auf KI anwendbar sei? 

Frau Dr. Hezler-Rusch stellte die drei Referenten des Vortragsabends vor: Herrn Prof. Dr. Michael Forsting, Leiter des Instituts für KI in der Medizin (IKIM) der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und der Universitätsmedizin Essen, Herrn Prof. Dr. Stefan Heinemann, Professor für Business Ethics an der FOM University of Applied Sciences und Sprecher der Ethics Ellipse Smart Hospital Essen, sowie Frau Prof. Dr. Hannah Bast, Inhaberin des Lehrstuhls für Algorithmen und Datenstrukturen an der Fakultät für Informatik der Universität Freiburg. 

Wollen Sie, dass der Computer Ihre Diagnose stellt? Herr Prof. Forsting arbeitete in seinem Vortrag den entscheidenden Unterschied zwischen einem hypothesengetriebenen und einem datengetriebenen medizinwissenschaftlichen Modell heraus. So verfügt die industrialisierte Labormedizin schon lange über den Vorteil einer rigorosen Qualitätskontrolle. In der Radiologie beispielsweise sind die erhobenen Primärdaten absolut fehlerfrei. Grundvoraussetzungen, um KI anwenden zu können, sind die Menge der erhobenen Daten, vor allem aber sicher annotierte oder gekennzeichnete (Primär-)Daten, die sog. ground truth, die als Trainings- und Testdaten für die Entwicklung eines KI-Algorithmus dienen. Dem technisch fehlerfreien, datengetriebenen Modell steht das bisherige hypothesengetriebene – und auf Annahmen basierende, dementsprechend fehleranfällige – Modell der sog. sprechenden Medizin gegenüber. Nach Prof. Forstings Auffassung ist der Nutzen für die Anwendung der KI in der sprechenden Medizin viel größer als z.B. in der Radiologie. Die Ergebnisse der KI sind besser als die Ergebnisse des Durchschnitts der Top-Ärzte-Spezialisten. Eine diagnostische Entscheidungsfindung wird den Ärzten durch KI nicht abgenommen. Als Vorreiter für eine sinnvolle Anwendung von KI in der Medizin sieht Prof. Forsting die großen Kliniken, welche über immense Datenmengen verfügen sowie die einschlägigen medizinischen Fragestellungen kennen. Statt an Datenschutz sind Kranke im Wesentlichen mehr an einer möglichst schnellen und richtigen Diagnose interessiert. Eine richtige Diagnose wird von den meisten Patienten dem Typus des empathischen Arztes wahrscheinlich vorgezogen. Insgesamt stellt die Technisierung in der Medizin kein „Teufelswerk“ dar. 

Nur noch künstliche Intelligenz kann uns heilen? Prof. Heinemann definierte in seinem Online-Vortrag Ethik als den Versuch, moralische Urteile vernünftig zu begründen. Die Ärzteschaft nimmt sich selbst als eine besondere Fachdisziplin wahr, denn gerade der Arztberuf hat, weil es beim ärztlichen Handeln um Heilung geht, eine besondere moralische Qualität, erfordert ein großes Verantwortungsbewusstsein und muss Ethik, auch wenn diese nicht als eine exakte empirische Wissenschaft gilt, „mitdenken“ und über folgende Fragen reflektieren: Was ist gut und richtig in der digitalen Medizin, was gilt aus sich heraus? Was kann man medizinisch je nach Situation machen oder was kann man nicht mehr machen? Bei Anwendung und Entwicklung sowie beim Einsatz von digitaler Medizin vermag Ethik der Person des als moral agent in der Verantwortung stehenden Mediziners Orientierung zu geben. Prinzipiell ist die Kenntnis der Realzusammenhänge für eine Urteilsfindung wichtig. Letzten Endes geht es um die Würde des Menschen, um ein aus ethischen Gründen nicht ersetzbares autonomes Wesen. So ist darauf zu achten, dass der Mensch aus Bequemlichkeit nicht durch eine neue generative, approximativ kreative Technik verführt wird. Ein Algorithmus darf nicht über eine Triage entscheiden. Für welche Anwendungen hat man die Pflicht, Technik einzusetzen, wo liegt der größte Nutzen für den Patienten? Zwischen Skylla und Charybdis, einerseits einer totalen Technikeuphorie, die Technik besser als die menschliche Leistung einstuft, und Technikphobie andererseits plädierte Prof. Heinemann für einen dritten Weg im Sinne eines verantwortungsvollen Umgangs mit Technik und der Entwicklung von Gestaltungsspielräumen, um den sich alle Mediziner bemühen müssen. Ethik sollte nicht immer nur als limitierender Faktor gesehen werden. 

Aus informationstechnologischer Sicht zeigte Frau Prof. Dr. Hannah Bast Möglichkeiten und Grenzen der künstlichen Intelligenz auf. Die rasante Entwicklung der KI im letzten Jahrzehnt, einem „Quantensprung“ vergleichbar, hat selbst Experten überrascht. Der jetzige Hype um KI ist anders, real und andauernd. Hierfür sind zwei Aspekte wesentlich: Zum einen haben Rechenleistung und Datenmenge inzwischen eine kritische Masse erreicht, zum anderen funktioniert die Verbindung von Deep Learning, einer Methode maschinellen Lernens, mit künstlichen neuronalen Netzen. Wie neuronale Netze in der Informatik aufgebaut sind und Daten über Rechenwerte trainiert werden können, führte Frau Prof. Bast an einem einfachen Beispiel (Hauskauf mit Kenngrößen Preis und Quadratmeterzahl) anschaulich vor. Neuronale Computernetze ähneln dem Sprachnetzwerk des menschlichen Gehirns, das rationales Denken mit unbewussten, intuitiven und instinktiven Bereichen kombiniert. Die Parallelen von Mensch und Maschine sind dabei frappierend, wie sich an der Textgenerierung via ChatGPT demonstrieren lässt. Die Sprachproduktion der KI hat einen sehr hohen Perfektionsgrad erreicht und damit eine Schallmauer durchbrochen. GPT-generierte Texte sind von Menschen verfassten praktisch nicht mehr zu unterscheiden. KI beherrscht die Grammatik einer Sprache, obwohl die KI nie mit Daten trainiert wurden. Der Durchbruch der modernen KI ist Frau Prof. Bast zufolge deswegen außergewöhnlich dramatisch und unerwartet, weil KI die geistige Welt des menschlichen Denkens erschlossen hat – Kommunikation, Sprache, Bildverstehen, Kunst.