19. November 2022

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Ärzteparlament

Vertreterversammlung der Landesärztekammer

Blick in die Vertreterversammlung© Foto: Dr. O. Erens

Die aktuelle Wahlperiode in der ärztlichen Selbstverwaltung geht ihrem Ende entgegen. Die vergangenen vier Jahre waren für die Südwest-Ärzteschaft alles andere als unaufgeregt. Dafür sorgten beispielsweise die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, der Klimawandel und jüngst die Energiekrise. Dazu noch erhebliche Dynamiken und Herausforderungen im Gesundheitssektor selbst: Digitalisierung, demografische Veränderungen, Kommerzialisierung, überbordende Bürokratie, die den Arbeitsalltag zunehmend erschwert, und mehr. Das baden-württembergische Ärzteparlament, das Mitte November zu seiner Herbstsitzung auf dem Gelände des Stuttgarter Flughafens zusammentrat, war gefragt, sich mit den berufspolitischen Fragen der Zeit zu befassen und gesundheitspolitische Weichen zu stellen.

Bericht zur Lage

Dr. Wolfgang Miller, Präsident der Landesärztekammer, nannte zu Beginn seiner Rede einige „Schieflagen“, mit denen sich die Ärzteschaft konfrontiert sieht. So gehe die Digitalisierung im Gesundheitssektor nur schleppend voran, die Themen Konnektorentausch, eRezept und elektronische Patientenakte seien „eine Tragödie“, eigentlich sinnvolle Regeln zum Datenschutz würden aktuell leider höchst unsinnig zur Anwendung gebracht. Von der Politik komme nur wenig Wertschätzung für ärztliche Leistung, die zu Pandemiezeiten noch öffentlich hoch gelob wurde. Stattdessen sei sie der Regulierungswut verhaftet und hätte einmal mehr das Spardiktat ausgerufen.

Die GOÄ-Reform werde blockiert, stellte Dr. Miller fest, finanzielle Mittel für die dringend nötige Weiterentwicklung der klinischen und ambulanten Versorgung würden nicht fließen. Der Gesundheitssektor selbst werde durch immer neue Vorschriften gegängelt. „Und wir beobachten auch einen nie gekannten Ressourcenverbrauch und eine Umweltbelastung durch den Gesundheitssektor“, bemängelte Dr. Miller. – Dies geschehe unter anderem durch „tonnenweise produzierten Plastikmüll und COohne Evidenz, dass die Ergebnisqualität der Behandlung durch den Übergang etwa auf Einmalartikel verbessert werden könnte“, so der Kammerpräsident.

Dr. Miller skizzierte aber auch Lichtblicke, konkret: Wo ist die Ärztekammer bereits aktiv, um einzelne Situationen zu verbessern? Auf welche Art und Weise bringt sie sich schon „anpackend“ ein und teilt Know-how, um die Gesundheitsversorgung nach vorn zu bringen? Dr. Miller nannte beispielhaft die Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten der Standesvertretung bei der Organisation und Weiterentwicklung der Notfall- und Krankenhausplanung, bei der Stärkung ärztlicher Zusammenarbeit über Fachgruppen- und Sektorengrenzen hinweg, bei der Weiterentwicklung der ärztlichen Weiterbildung und der Ausbildung der Medizinischen Fachangestellten und beim Pandemiemanagement.

Auch bei gesamtgesellschaftlichen wie ethischen Fragen bringe sich die Kammer ein, zum Beispiel in die Debatte zum assistierten Suizid, zu den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels und zur (medizinischen) Versorgung von Flüchtlingen. Außerdem machte der Präsident darauf aufmerksam, dass die Kammer schon viel konkret und mit dem nötigen Pragmatismus erreicht habe, beispielsweise in puncto Energieeffizienz und Energieeinsparungen in den Einrichtungen der Kammer. Die Ärztinnen und Ärzte des Südwestens stünden immer mit Rat und Tat bereit, um konstruktiv an der Lösung von Problemen mitzuwirken und ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen, so Dr. Miller. Dies werde nach außen hin auch entsprechend wahrgenommen; So habe die Kammer jüngst eine Einladung des baden-württembergischen Landtags erhalten, um an Konzepten zur Krisenfestigkeit der Gesellschaft mitzuarbeiten.

Dr. Miller zog zum Ende seines Berichts ein mutmachendes Fazit: In den vergangenen Jahren habe sich in der Gesellschaft viel geändert. Aber auch die Ärztekammer habe Veränderungen durchgemacht, sei leistungsfähiger geworden, breiter aufgestellt und werde in der Öffentlichkeit und medial wesentlich mehr gehört. Dr. Miller stellte klar: Inzwischen sei die Kammer gefragter und geschätzter „Berater in Sachen Klimaschutz, Daseinsvorsorge, Widerstandsfähigkeit gegen Krisen wie Krieg, Vertreibung, Hunger und Energieknappheit.“

Finanzen

Alljährlich im Herbst gehört es zu den Aufgaben der Vertreterversammlung, sich eingehend mit dem Haushalt der Landesärztekammer zu befassen. Berichterstatter Dr. Jörg Woll stellte den Delegierten den Jahresabschluss 2021 vor, Rechnungsführer Dr. Norbert Fischer informierte über die aktuelle Finanzlage und der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Prof. Dr. Michael Faist, präsentierte den Haushaltsplan 2023. Nach ausführlicher Diskussion fasste die Vertreterversammlung entsprechende Beschlüsse.

Ebenfalls mit großer Konzentration beraten wurde die Neubauplanung für die Bezirksärztekammer Südbaden. Hier waren schon 2020 entsprechende Entscheidungen vom Ärzteparlament getroffen worden, die nun – unter anderem wegen gemeinsamer Pläne von Ärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung für einen Neubau – erneut der Zustimmung bedurften. Südbadens Kammerpräsidentin Dr. Paula Hezler-Rusch stellte die Planungen en Detail vor, und die Delegierten erteilten nach eingehender Diskussion ihre Zustimmung. Nach heutigem Stand könnte mit dem Bau 2025 begonnen werden; eine Fertigstellung ist nicht vor 2027 zu erwarten.

Rechnungsführer Dr. Fischer stellte zudem in einem Sachstandsbericht den Delegierten die bisherigen Bemühungen um eine Modernisierung der Haushaltsordnung und der Haushaltsrichtlinien vor. Das Projekt war erst im Sommer gestartet und wird – nicht zuletzt wegen seiner außerordentlichen Komplexität – auch in der kommenden Wahlperiode fortgeführt. Die Vertreterversammlung nahm den Bericht von Dr. Fischer zustimmend zur Kenntnis.

Weiterbildung

In einem Sachstandsbericht informierte Dr. Klaus Baier, Vorsitzender der Weiterbildungsgremien, über die Bearbeitung von Beschlüssen der Vertreterversammlung vom Sommer 2021, die die Qualitätssicherung der Weiterbildung zum Ziel hatten. Die Kammer hat hieraus das Modell „QER“ entwickelt. Es besteht aus den Modulen „Qualifizieren“ (für Ärztinnen und Ärzte, die erstmalig eine Weiterbildungs-Befugnis beantragen), „Evalulieren“ (für Weiterzubildende, die am Ende ihrer Weiterbildung stehen) und „Rückmelden/Rückkoppeln“ (zielt darauf ab, dass die Kammer beim Auftreten von Problemen sowohl Weiterzubildenden als auch Weiterbildern routinemäßig Gesprächsangebote macht, um Fehlentwickelungen rechtzeitig begegnen zu können).

Inzwischen wurden für den Bereich „Qualifikation“ Seminare entwickelt (Einführung in das eLogbuch, Anforderungen an Weiterbildungszeugnisse, Rechte und Pflichten von Weiterbildungsbefugten, Grundkenntnisse in didaktischer Methodik). Hinsichtlich der „Evaluation“ ist eine Befragung von Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung geplant. Auch Maßnahmen hinsichtlich „Rückmeldung/Rückkoppelung“ befinden sich in der Umsetzung; beispielsweise werden Gespräche in Weiterbildungsstätten vor Ort oder in der jeweiligen Bezirksärztekammer durchgeführt.

Homöopathie

Im Juli 2022 hatte die Vertreterversammlung der Landesärztekammer mehrheitlich dafür gestimmt, dass in Baden-Württemberg die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung gestrichen werden soll (das ÄBW berichtete). Bevor diese Satzungsänderung in Kraft treten kann, ist zunächst eine sogenannte Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen.

Kammerpräsident Dr. Miller informierte nun die Delegierten, dass die Landesärztekammer im Anschluss an die Sommer-Vertreterversammlung auf ihrer Website ein öffentliches Beteiligungsverfahren angeboten hatte, das – nicht zuletzt wegen der breiten medialen Berichterstattung – rege genutzt worden war. Insgesamt waren 1.347 Stellungnahmen eingegangen, davon hatten sich 135 für die Streichung der Zusatzbezeichnung Homöopathie und 1.212 dagegen ausgesprochen.

Anhand der Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens stimmt sich die Landesärztekammer derzeit eng mit dem Sozialministerium hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung ab; hierbei ist insbesondere auf die Begründung für die Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie einzugehen, betonte der Kammerpräsident.

Sobald die Abstimmung zwischen Sozialministerium und Landesärztekammer abgeschlossen ist, werde die Landesärztekammer das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung veröffentlichen, sagte Dr. Miller. Der Öffentlichkeit solle dann ausreichend Zeit gegeben werden, das Ergebnis zur Kenntnis zu nehmen. Im Anschluss solle eine öffentliche Anhörung stattfinden. Danach werde sich die Vertreterversammlung mit dem Satzungsbeschluss abschließend befassen. Wenn die Entscheidung zur Streichung der Zusatzweiterbildung aus der baden-württembergischen Weiterbildungsordnung bestätigt werde, sei danach das Genehmigungsverfahren einzuleiten.

Entschließungen

Die Vertreterversammlung fasste zahlreiche Entschließungen, die im Volltext hier nachlesbar sind.