27. März 2024
Öffentliche Anhörung: Faire Debatte auf Augenhöhe
Stuttgart, 28. März 2024. Nur wenige Themen haben die ärztliche Standesvertretung im Südwesten in der jüngsten Zeit so intensiv beschäftigt und für gleichermaßen innerärztliche und öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt wie dieses: die geplante Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Anlass war ein Beschluss der Vertreterversammlung, die bereits vor zwei Jahren bemängelt hatte, es fehle der Homöopathie die wissenschaftliche Evidenz und es gebe keinen Nachweis für ihre Wirksamkeit. Befürworterinnen und Befürworter dieser Behandlungsrichtung betonten hingegen, dass sich viele Patienten von der Homöopathie gut begleitet fühlten und keinesfalls auf sie verzichten wollten. – Bisweilen prallten entgegengesetzte Meinungen unversöhnlich aufeinander.
Nach der im Sommer 2022 erfolgten initialen Meinungsbildung des baden-württembergischen Ärzteparlament für die Streichung der Zusatzweiterbildung schloss sich ein gesetzlich geregelter Vorgang an, bestehend aus Beteiligungsverfahren, Verhältnismäßigkeitsprüfung und öffentlicher Anhörung.
Während des Beteiligungsverfahren konnten Bürgerinnen und Bürger, Ärztinnen und Ärzte, Verbände und Organisationen ihre Anregungen und Bedenken für oder gegen die Beibehaltung der Zusatzweiterbildung mitteilen, das Verfahren kommentieren und Stellung beziehen. - Im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung wurde abgeschätzt, welche Konsequenzen die geplante Streichung für die ärztliche Berufsausübung hätte und ob dies angemessen und verhältnismäßig wäre. Die Prüfung kam unter anderem zu folgendem Ergebnis: Die Behandlung von Patientinnen und Patienten in Baden-Württemberg „mit Methoden und / oder Mitteln der Homöopathie wird durch die Streichung der Zusatzweiterbildung aus der Weiterbildungsordnung weder eingeschränkt noch verboten“.
Öffentliche Anhörung
Den Abschluss bildete nun die Öffentliche Anhörung: Bürgerinnen und Bürger bekamen via Online-Übertragung die Möglichkeit, den Meinungsbildungsprozess der Ärztekammer nachzuvollziehen. Komprimiert und durch Livestream für alle zugänglich wurden im Dialog zentrale Argumente für und gegen die Streichung der Zusatzweiterbildung Homöopathie ausgetauscht. Die unterschiedlichen Positionen brachten zwei Mitglieder aus den Reihen der Vertreterversammlung ein: Dr. Michaela Geiger, niedergelassene Hausärztin in Neckarsulm, übernahm als Befürworterin der Homöopathie das Präsentieren der Argumente gegen eine Streichung; der in einem Karlsruher Krankenhaus tätige Internist Dr. Mathias Körner legte dagegen die Gründe für die Streichung der Zusatzweiterbildung dar.
Dr. Wolfgang Miller, Präsident der Landesärztekammer, führte vorab allen vor Augen, dass die Kammer mit dem durchgeführten Verfahren „Neuland betreten“ habe – zum ersten Mal seit Inkrafttreten der entsprechenden EU-Richtlinie sei ein Beteiligungsverfahren zu einer Frage der ärztlichen Berufsausübung durchgeführt worden. Das öffentliche Interesse sei groß, so Dr. Miller weiter, die Diskussion zur Homöopathie werde weit über die Ärzteschaft hinaus geführt. Der Präsident nannte hier beispielhaft die Pläne des Bundesgesundheitsministers, den gesetzlichen Krankenkassen die Erstattung der Homöopathie zu untersagen, sowie die jüngsten kontrovers geführten Diskussionen im Deutschen Bundestag. „Die Menschen treibt die Frage nach der Wirksamkeit der Homöopathie um“, stellte Dr. Miller fest. Die Kammer sei mit ihrer Beschäftigung mit der Thematik daher „absolut auf der Höhe der Zeit“.
Der Moderator der Anhörung, Ulrich Langenberg, Geschäftsführer des Bereichs „Politik“ bei der Bundesärztekammer, stellte den Zuschauenden die „Spielregeln“ der Diskussion vor. Zudem benannte er nochmals klar, worum es in allen Prozessen und Debatten der Kammer gehe: Zur Diskussion stehe nicht, ob Ärztinnen und Ärzte ihren Patienten auch nach einer möglichen Streichung der Zusatzweiterbildung die Homöopathie weiter anbieten und auf eine solche Tätigkeit öffentlich hinweisen dürften – dies sei in jedem Fall weiterhin möglich. Auch gehe es nicht darum, ob Homöopathie weiterhin als Kassenleistung erstattet werde. Stattdessen stehe die Frage im Raum, ob die Landesärztekammer ihren Mitgliedern den Erwerb der Zusatzweiterbildung Homöopathie weiterhin anbietet. „Nicht weniger, aber auch nicht mehr“, sagte Langenberg.
Dr. Geiger betonte im folgenden Eingangsstatement, dass sich knapp 90 Prozent der Stimmen im Rahmen des Beteiligungsverfahrens für die Beibehaltung der Zusatzweiterbildung ausgesprochen hätten. Sie stellte die Frage, ob sich daraus nicht ein klarer ärztlicher Versorgungsauftrag ableiten lasse. Wenn viele Patientinnen und Patienten homöopathische Behandlungsleistungen weiter wünschten, sei es ihrer Meinung nach umso wichtiger, sie im Rahmen einer entsprechenden Zusatzweiterbildung weiterhin in ärztlicher – und damit qualitätsgesicherter – Hand zu halten.
Dr. Geiger führte außerdem aktuelle Studien an, die nach ihren Worten die Wirksamkeit der Homöopathie durchaus beweisen würden – das Argument, dass Homöopathie nicht über einen Placebo-Effekt hinaus wirke, sei widerlegt. Zudem machte sie sich dafür stark, den Evidenzbegriff „nicht auf eine reine klinische Studienevidenz zu reduzieren“. Stattdessen fuße die Evidenz ihrer Meinung nach auf drei Säulen: Patientenpräferenz, Erfahrung/Expertise der Ärztinnen und Ärzte sowie Studienevidenz. Medizin sei keine „reine Naturwissenschaft“, sondern „eine an unseren Patientinnen und Patienten orientierte Erfahrungswissenschaft“ – dies alles bekräftige den Nutzen der Homöopathie und damit die Notwendigkeit der Beibehaltung der entsprechenden Zusatzweiterbildung für Ärztinnen und Ärzte.
Dr. Körner übernahm es in seinem Statement, die Gegenseite darzustellen: Die Vertreterversammlung der Landesärztekammer habe im November 2021 beschlossen, dass Zusatzweiterbildungen für Ärztinnen und Ärzte auf Evidenz basieren müssten. Homöopathie bleibe dies schuldig, sagte Dr. Körner und verwies darauf, dass viele Studien eine Wirksamkeit der Homöopathie eben nicht hätten nachweisen können. Studien mit anderen Ergebnissen würden unter anderem methodische Mängel aufweisen. Er warnte: Trotz der fehlenden Nachweisbarkeit einer Wirkung attestiere die Zusatzweiterbildung Homöopathie eine augenscheinliche Gleichwertigkeit mit anderen Zusatzweiterbildungen der Kammer – und längst nicht alle Patienten könnten hier differenzieren. Patienten müssten sich seinen Worten nach aber auf die Ärztekammer als „Garant“ für wirksame Hilfe hinter den Zusatzbezeichnungen verlassen können. Dies sei bei der Zusatzweiterbildung Homöopathie nicht der Fall.
Wie Dr. Körner weiter betonte, hätten 14 von 17 Landesärztekammern in der Bundesrepublik die Zusatzweiterbildung Homöopathie bereits gestrichen. Er könne nicht beobachten, dass dies in Deutschland zu homöopathischen Versorgungslücken geführt hätte, zumal Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg auch nach der Streichung der Zusatzweiterbildung auf Patientenwunsch weiter homöopathisch behandeln und weiterhin fachliche Kenntnisse beispielsweise im Rahmen von Fortbildungen erwerben könnten.
In der anschließenden Diskussion, die sich vor allem auf die Aspekte Patientenwünsche, Patientenbedürfnisse und Versorgungsrealität fokussierte, wurden weitere Argumente ausgetauscht. Auch dieser Meinungsaustausch wurde fair, ausgewogen und stets auf Augenhöhe geführt. So konnte Moderator Langenberg zum Ende festhalten: Die Online-Veranstaltung habe den Zuschauerinnen und Zuschauern geholfen, sich anhand der Präsentation eingängiger Argumente ein eigenes Bild von der Lage zu machen.
Und wie geht es weiter? Die Öffentliche Anhörung wird in die Entscheidungsfindung der Vertreterversammlung der Landesärztekammer einmünden. Voraussichtlich Ende Juli werden sich die Delegierten final mit der Streichung der Zusatzweiterbildung befassen und eine Mehrheitsentscheidung treffen. „Wir alle sind gespannt, wie sich die Vertreterversammlung nach einem intensiven zweijährigen Dialog – und nach der Kammerwahl mit gut einem Drittel neuer Mitglieder – entscheiden wird“, sagte Kammerpräsident Dr. Miller. Der Prozess stehe mit seinen tiefgehenden Diskussionen und die Öffentlichkeit einbeziehenden Verfahren dafür, dass die Entscheidung der Vertreterversammlung im Sommer auf einem breiten demokratischen Fundament stehe. „Darauf können wir stolz sein“, bilanzierte Dr. Miller.