10. März 2024
Das Second-Victim-Phänomen – Wenn Ärzte zu Opfern werden
Am 02. März kamen die Delegierten der Bezirksärztekammer Südbaden im Rahmen der ersten außerordentlichen Vertreterversammlung im Haus der Ärzte in Freiburg zusammen. Auf der Tagesordnung stand die Thematik des „Second-Victim-Phänomens in der Ärzteschaft“. Ziel der Veranstaltung war es, für die Thematik zu sensibilisieren.
Nach einführenden Worten der Präsidentin Dr. Paula Hezler-Rusch leitete und moderierte Dr. Stefan Bushuven, Chefarzt am Institut für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention und Mitglied im Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz, die Veranstaltung.
Über Prävalenz und medizinische sowie ökonomische Auswirkungen des Second-Victim-Phänomens berichtete Prof. Dr. Reinhard Strametz, Professor für Medizin für Ökonomen mit Schwerpunkt Patientensicherheit an der Hochschule RheinMain. Es handelt sich laut Strametz um ein flächendeckendes Problem – verschiedene Studien mit Personal aus den Bereichen Weiterbildung, Pflege, Notfallmedizin sowie Pädiatrie im In- und Ausland zeigen, dass mindestens die Hälfte der Befragten nach eigener Aussage schon einmal vom Phänomen betroffen war. Als Ausdruck unzureichender Unterstützung und Resilienz entwickeln zwei von drei Second Victims vorübergehend oder dauerhaft dysfunktionale Verarbeitungsmechanismen wie Isolation, Depression, posttraumatische Belastungsstörung oder Substanzmissbrauch. Die systemischen Folgen betreffen laut Strametz ebenso die jeweilige Organisation, weshalb auch der monetäre Nutzen von psychoszialen Unterstützungsprogrammen groß ist.
Dr. Andreas Schießl, Oberarzt im Fachzentrum für Anästhesie und Intensivmedizin der Schön Klinik München-Harlaching und ehrenamtlicher Vorstand des PSU-Akut e.V., beleuchtete die psychosoziale Unterstützung bei potentiell traumatisierenden Ereignissen im Gesundheitswesen und berichtete über seine Erfahrungen aus dem Projekt PSU-Akut e.V. Schießl zufolge wünschen sich betroffene Ärztinnen und Ärzte in besonderen Stress- und Belastungssituationen Gesprächspartner mit ähnlichem Erfahrungshintergrund und Verständnis für ihre Situation. Daher ist die Grundausbildung von Peer Support neben psychosozialen Fachkräften und ärztlich sowie psychologisch Behandelnden ein ganz wesentliches Element der psychosozialen Unterstützung. Er stellte Planungsworkshops für die Einführung von Peer Support in Kliniken vor. Ziel solle die Etablierung von internen Peers sowie ein externes Angebot im Rahmen der PSU-Helpline sein, welche anonyme, kostenfreie und vertrauliche Hilfe bietet. Mitarbeitersicherheit ist Patientensicherheit und diese Form der kollegialen Unterstützung stellt auch eine Kammeraufgabe dar, so Schießl.
Unter den Teilnehmern der Veranstaltung entstand eine lebhafte Diskussion, u.a. zur großen Dunkelziffer hinsichtlich der Behandlungsbedürftigkeit sowie zu bisher mangelnder Fehlerkommunikation bzw. Fehlermanagement und Problemen bei bestehenden Angeboten wie den Balintgruppen.
Als Fazit der Versammlung wurde deutlich, dass ein Programm zur kollegialen Beratung für Ärztinnen und Ärzte unterstützend und hilfreich sein dürfte.